Die meisten haben es einfach noch nicht begriffen

prof. Dr. Hans-Joachim Schellnhuber. Foto: PIK / Batier
prof. Dr. Hans-Joachim Schellnhuber. Foto: PIK / Batier

Die Ratifizierung des Klimavertrags von Paris wurde als ein großer Erfolg gefeiert. Nun geht es international an die Umsetzung. Prof. Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung erzählt, wie er das erbitterte Ringen um den Klimaschutz einschätzt, und wo die großen Chancen liegen. Das Interview wurde im forum gedruckt.

 

Das Pariser Klimaabkommen wurde ratifiziert. Gleichzeitig bremst die Regierung die Energiewende aus. Verstehen Sie diesen Gegensatz?

Dieser Gegensatz bildet in gewisser Weise ab, was in Paris passiert ist. Man hat nach 30 Jahren endlich eine adäquate Zielsetzung gefunden, nämlich die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius zu begrenzen. Das entspricht dem, was wir aus wissenschaftlicher Sicht schon seit langer Zeit kommunizieren. Und das ist ein großer Fortschritt. Aber die Anerkennung eines Ziels heißt noch lange nicht die Anerkennung der dafür notwendigen Taten.

 

In Paris wurde gesagt: Wir wollen es versuchen. Aber es gibt dafür noch keine konkreten Maßnahmen und keine Sanktionsmechanismen. Das Einzige, was man versprochen hat ist: man will sich anstrengen und wird alle fünf Jahre Bilanz ziehen. Paris ist also zunächst eine Bemühenszusage.

 

Wo aber bleibt das „Bemühen“ der Bundesregierung?

Die Bemühenszusage ist die eine Ebene, die Umsetzung ist die andere. Und da ist es zunächst Ermessensfrage, ob man das Bemühen auf nationaler Ebene realisiert, indem man harte Zahlen vorschreibt oder ob man sich weicher Formulierungen bedient, und hofft, dass sich das Ganze trotzdem zurechtrüttelt.

 

Gleichzeitig meinen manche: Wenn die langfristigen Ziele erst richtig gesetzt sind, dann kommt es für den Augenblick nicht so sehr darauf an, ob wir in die falsche Richtung gehen oder zu langsam - denn dann lässt sich das später noch nachjustieren. Aber wenn ich jetzt schon nicht ehrgeizig vorgehen möchte, warum sollte ich dann später umso ehrgeiziger sein?

 

Fakt ist, wenn Klimaziele eingehalten werden sollen, dann haben wir nur noch ein begrenztes CO2-Budget zur Verfügung. Es wird nicht klappen, das Problem immer weiter wegzuschieben und darauf zu hoffen, dass sich nach 2020 alles durch Technologien selbst regelt. Das muss man auch der Politik immer wieder erklären: Alles, was wir bereits emittiert haben und noch emittieren, geht in dieses Budget ein. Es ist am Ende das Integral aller Emissionen, das zählt. Einmal emittiert, bleibt CO2 lange Zeit in der Ökosphäre. Es geht also auch um den Pfad, den wir wählen um das Ziel zu erreichen.

 

Mancher Beamte in der Ministerialbürokratie oder auch mancher ganz normale Abgeordnete, hat die Dringlichkeit und die Dimension des Problems noch nicht gesehen oder möchte sie nicht sehen. Gleichzeitig gibt es einige Gruppen, die das Thema sehr genau verstehen – nämlich die Lobbyisten. Und genau deswegen versuchen manche Interessensverbände, die Problematik zu vernebeln. Man darf einfach nicht vergessen, wie stark die Wirtschaftsverbände sind, wie stark die Wirtschaftsflügel in der Union und auch die Gewerkschaften in der SPD sind. Hier dominieren leider manchmal – nicht immer! - kurzfristige Klientel-Interessen das langfristige Allgemeinwohl. Die Lobbyisten sind enorm einflussreich. Das ist doch klar – wenn ich von der jetzigen Wirtschaftsweise profitiere, dann möchte ich natürlich, dass alles so bleibt, wie es ist. Dass diese Gruppen nach Paris und dem, was das Paris-Abkommen bedeutet, jetzt alle Hebel in Bewegung setzen, war zu erwarten.

 

Aber es muss ja auch Politiker geben, die auf diese Lobbyisten hören. Wer sind denn da die wichtigsten Drahtzieher?

Wenn ein Politiker zum Beispiel in einem Landkreis gewählt wird, wo Braunkohle abgebaut wird, dann wird er nicht gegen seine Wählerschaft auftreten. Das habe ich schon oft aus der Politik gehört: Wenn ich Arbeitsplätze in dieser Region erhalten kann, dann ist mir das wichtiger, als der mögliche Schaden für das Klima. Die parlamentarische Demokratie, die Wahlkreisrepräsentanten nominiert und ins Parlament schickt, hat es quasi als innere Logik eingebaut, dass kurzfristige und naheliegende Interessen den längerfristigen und globalen Interessen überlegen sind. Dass dabei das Schicksal des Planeten auf dem Spiel steht und unsere Zivilisation, ist fast nebensächlich, weil man einfach eingerastet ist in dieses Spiel.

 

Ist die Flüchtlingskrise angesichts des Klimawandels zu lösen?

Natürlich ist die Flüchtlingskrise zu lösen, das „Wir schaffen das!“ war berechtigt. Die Flüchtlingszahlen gehen längst runter. Und selbst wenn noch einmal eine Million käme, könnte unsere Gesellschaft, reich wie sie ist, das verkraften.

 

Aber natürlich ist das auch eine große Herausforderung. Und erst recht ist die Umsetzung von Paris eine immense Herausforderung. Das Paris-Abkommen in die Realität zu überführen, das würde bedeuten, dass die deutsche Autoindustrie den Verbrennungsmotor bis etwa 2025 ausmustern müsste, dass die Zementindustrie sich komplett wandeln müsste, dass die industrielle Landwirtschaft von Grund auf reformiert werden müsste, dass die Kohleförderung allerspätestens 2030 beendet werden müsste, und vieles mehr. Stellen Sie sich das einmal vor! Dagegen ist die Flüchtlingskrise derzeit ein laues Lüftchen. Das könnte sich allerdings ändern, wenn die Folgen des Klimawandels greifbarer werden und bestehende Probleme noch verstärkt werden. Dann werden wir vielleicht auch eine Flüchtlingskrise nicht mehr bewältigen können.

 

Für die Industrie ist es am Ende egal, ob syrische Flüchtlinge kommen oder nicht. Manche Ökonomen sagen sogar, die Flüchtlinge werden das Wirtschaftswachstum erhöhen. Vor nur wenigen Jahren hieß es ja auch, dass Deutschland vergreist und die Bevölkerungszahl schrumpft. Jetzt wächst Deutschland wieder. Aber auch das ist nicht allen recht.

 

Was wären denn die wichtigsten Wege, um den Klimaschutz voran zu bringen?

Es gab zuletzt einen globalen Rekord-Hitzemonat nach dem anderen, die Klimakrise ist mittlerweile offensichtlich. Die Erwärmung wirkt sich auf verschiedenste Bereiche aus, von den ersten Inselatollen, die dem Meeresspiegelanstieg weichen müssen, bis hin zu aussterbenden Arten. Dieser Druck der sichtbaren Klimafolgen wird sich immer weiter erhöhen, so traurig das ist. Darüber werden die Medien berichten. Gleichzeitig geht es aber auch nicht nur darum, öffentliches Interesse zu wecken. Vielmehr sollte man jetzt mit den verantwortungsvollen, lernfähigen Entscheidungsträgern hartnäckig und kontinuierlich zusammenarbeiten.

 

Das ist ja fast eine Erleichterung. Denn die ganze Welt überzeugen zu müssen ist ja eine schier unmögliche Aufgabe.

Und das ist vielleicht auch gar nicht notwendig. Es gibt das berühmte Paretoprinzip, in dem die Rede ist von „the vital few“: Etwa 20-25 Prozent der Bevölkerung könnten demnach schon ausreichen, um große Änderungen erfolgreich anzustoßen.

 

Meine Erfahrung ist, dass man dieselben Wahrheiten immer und immer wieder vorbringen muss. Einfache und klare Wahrheiten. Und man muss nach und nach Menschen finden, die bereit sind, entsprechend zu handeln. Ohne zu erwarten, dass es gelingt; ohne zu erwarten, dass es schnell geht. Aber diese kleinen und realen Chancen muss man ergreifen.

 

Letzten Endes ist die „Große Transformation“ eine riesige Chance, ein neues Projekt der Moderne zu definieren. Dieses Projekt könnte von Europa angeführt werden im Sinne eines globalen Modernisierungswettbewerbs. Da sollte eigentlich jeder der erste sein wollen. Ich glaube, dass man die Doppelchance des Klimaschutzes einfach noch nicht erkannt hat: dass man damit unsere Lebensgrundlagen bewahrt; dass man aber auch eine unheimlich spannende, ökonomische, technische und soziale Herausforderung hat, für die es sich lohnt, sich einzusetzen.

 

Wenn die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise als gemeinsame große Vision der Moderne gesehen würde, dann könnten wir sehr viel erreichen. Schauen Sie auf Roosevelt und die 30er Jahre – mit dem New Deal hat er es geschafft, dass der Faschismus in Amerika nicht Fuß fassen konnte. Dazu hat er eine ganze Reihe von Sozialreformen angestoßen, die Erhöhung des Spitzensteuersatzes, den Aufbau von Institutionen.

 

Wir müssten quasi die Transformation als einen New Deal darstellen. Ich habe nicht die geringste Ahnung, ob das gelingen könnte. Aber das scheint mir eine interessante Möglichkeit. Denn es gilt einerseits, den Untergang der Zivilisation, so wie wir sie kennen, zu vermeiden. Auf der anderen Seite ist Klimaschutz nicht eine Belastung für die jetzigen Wirtschaftsformen, sondern eine riesige Chance.

 

Wir bräuchten also viel mehr positive Visionen?

Positive Visionen sind natürlich wichtig. Und die Erkenntnis, dass dadurch nicht massenhaft Arbeitsplätze wegfallen werden. Ver.di hat sich jetzt sogar für den Kohleausstieg stark gemacht. Es wurde eine Studie in Auftrag gegeben, wie viele Arbeitsplätze in der deutschen Kohleindustrie wegfallen würden – das sind 8900. 8900! Das sind ein oder zwei größere mittelständische Betriebe. Es ist einfach ein Witz, über welche Marginalien wir reden, um ein „Weiter so!“ zu begründen. Viele Menschen haben jedoch Angst vor Veränderungen. Aber gerade die Veränderung kann ja auch ein aufregendes Projekt sein. Gleichzeitig braucht es natürlich auch einen Plan für diese Veränderungen. Für die Kohlearbeiter müssten finanzielle Mittel freigemacht werden, um die betroffenen Menschen auf einen neuen Pfad zu bringen.

 

Welche Rolle kann und muss denn die Wirtschaft haben, um die Emissionsreduzierung voran zu bringen? Und wie kann man sie dazu bewegen?

Roosevelt hatte im New Deal von der Wirtschaft einen gewissen Beitrag verlangt. Rockefeller hatte damals dazu gesagt: „Ich bin gerne bereit, die Hälfte meines Vermögens zu opfern, wenn ich damit die andere Hälfte retten kann.“ Glücklicherweise sind wir aber gar nicht in so einer Situation. Ich glaube, dass es für die Wirtschaft – wenn sie sich aus ihrem verkrusteten Denken lösen kann – eine unglaubliche Chance ist, neue Geschäftsfelder zu erschließen.

 

Die Wirtschaft könnte erkennen, dass der Klimaschutz das größte Beschäftigungsprogramm seit dem Zweiten Weltkrieg ist. Es ist ja klar, dass nach vollkommener Zerstörung ein schnelles Wachstum erfolgt. Aber wir wollen bitte nicht wieder einen Krieg, der so ein Wachstum ermöglicht! In Friedenszeiten könnte die Große Transformation das größte Konjunkturprogramm aller Zeiten sein.

 

Es ist schon seltsam, dass die Möglichkeit, an einer so faszinierenden Sache wie der Transformation teilhaben zu können, nicht begeisterter aufgenommen wird.

Wir müssen die Begeisterung wecken für neue Projekte, und neue Projekte haben natürlich auch Risiken. Aber das ist vielleicht sogar gut. Die meisten Menschen sind unheimlich eingefahren darin, was sie tun und denken. Selbst der Nervenkitzel ist schon fast routiniert, wie beim Bungee Jumping oder Paragliding. Man könnte stattdessen auch sagen: „Ok, jetzt mach ich mal eine Batteriefabrik auf!“

 

Wie in dem Film „Power to Change“. Da werden Leute dargestellt die sagen „Ich mache das!“

Ähnliche Initiativen gibt es bereits. Ich bin zum Beispiel auch Vorsitzender von Climate-KIC – einem großen europäischen Netzwerk, das Innovationen im Klimaschutz voranbringt. Wir haben schon einige Hundert Start-Ups auf den Weg gebracht, einige sind bereits geschäftsfähig geworden. Es gibt sie also, diese wilden jungen Kreativen.

 

Hoffen wir, dass es noch viel mehr werden, damit wir noch rechtzeitig die Transformation schaffen! Herr Schellnhuber, wir danken für das Gespräch.

 

Das Gespräch führte Dr. Maiken Winter

 

Prof. Hans-Joachim Schellnhuber ist seit Gründung des Instituts im Jahr 1992 Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Er ist außerdem Ko-Vorsitzender im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0