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Paulus’ Idee einer Geschenk-Ökonomie

Es ist sicherlich etwas ungewöhnlich, hier eine Predigt abzudrucken. Aber die Worte von Juliane Assmann, Referentin für die zwei "anders wachsen" Gemeinden in Dresden,  sind so inspirierend und wohltuend, dass diese Predigt sehr gut auch in einen nicht-kirchlichen Blog passt. Herzlichen Dank an Frau  Assmann, dass wir ihren Text hier veröffentlichen dürfen!

 

 

 

Predigt zum Inspirationstag „anders wachsen“ (auch in youtube zu hören)

Juliane Assmann

 

Wie ihr aber in allen Stücken reich seid, im Glauben und im Wort und in der Erkenntnis und in allem Eifer und in der Liebe, die wir in euch erweckt haben, so gebt auch reichlich bei dieser Wohltat.

Nicht als Befehl sage ich das; sondern weil andere so eifrig sind, prüfe ich auch eure Liebe, ob sie echt sei. Denn ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus: Obwohl er reich ist, wurde er doch arm um euretwillen, auf dass ihr durch seine Armut reich würdet.

Und damit gebe ich einen Rat; denn das ist euch nützlich, die ihr seit vorigem Jahr angefangen habt nicht allein mit dem Tun, sondern auch mit dem Wollen.

Nun aber vollendet auch das Tun, damit, wie ihr geneigt seid zu wollen, ihr auch geneigt seid zu vollenden nach dem Maß dessen, was ihr habt. Denn wenn der gute Wille da ist, so ist jeder willkommen nach dem, was er hat, nicht nach dem, was er nicht hat.

Nicht, dass die andern Ruhe haben und ihr Not leidet, sondern dass es zu einem Ausgleich komme.

Jetzt helfe euer Überfluss ihrem Mangel ab, damit auch ihr Überfluss eurem Mangel abhelfe und so ein Ausgleich geschehe, wie geschrieben steht: »Wer viel sammelte, hatte keinen Überfluss, und wer wenig sammelte, hatte keinen Mangel.«

2. Kor 8,7-15

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!

 

Zu Beginn möchte ich aus einem Artikel zitieren, der mich schon Anfang des Jahres zu der Predigt für heute inspiriert hat. Er wurde von der Ökologin Robin Wall Kimmerer geschrieben:

 

„Der kühle Atem des Abends gleitet von den bewaldeten Hügeln herab und verdrängt die Hitze des Tages, und mit ihm kommen die Vögel, die genauso nach der Kühle gieren wie ich. Sie kommen in einer Schar von Rufen, die nach Lachen klingen, und ich muss mit der gleichen Freude zurücklachen. [Sie sind überall um mich herum. Ich habe noch nie eine solche Verwandtschaft mit den Staren und Spechten gefühlt, wie in diesem Moment, in dem wir beide unseren Mund mit Beeren füllen und vor Glück glucksen.] Die Büsche sind voll, mit fetten Büscheln aus Rot, Blau und Purpur beladen, in jedem Stadium der Reife. Ich bin froh, dass ich einen Eimer habe und frage mich, ob die Vögel überhaupt fliegen können mit Bäuchen so voll wie meinem.

Diese Fülle an Beeren fühlt sich wie ein Geschenk der Erde an. Ich habe sie nicht verdient, bezahlt oder für sie gearbeitet. Es gibt keine Mathematik des Leistungsgewinns, die meint, ich hätte sie in irgendeiner Weise verdient. Und doch sind sie hier - zusammen mit der Sonne und der Luft und den Vögeln und dem Regen, der sich in den Türmen von Wolken sammelt. Man könnte sie natürliche Ressourcen oder Dienstleistungen des Ökosystems nennen, aber die Vögel und ich erkennen sie als Geschenke. Wir beide singen unsere Dankbarkeit mit vollem Mund.“

 

Robin Wall Kimmerer und Paulus sind sich einig: Ihr seid doch über die Maßen reich in jeder Beziehung! Wir leben in einer Welt aus Gottes Gnaden, aus Gottes Gunst — es fühlt sich an wie ein Geschenk. Wir leben in einer Welt, die uns gratis, umsonst, mit Luft, Sonne, Wasser und Beeren versorgt. Für nichts davon haben wir irgendetwas getan; in keinster Weise haben wir es uns verdient, dass hier in Dresden überall die Brombeeren so wuchern, dass man sie sogar zurückschneiden muss, wenn man ohne Kratzer durch den Garten kommen möchte.

 

Ich glaube, dass Gott uns nicht nur in den Worten von Paulus, sondern auch durch die Schöpfung dazu einlädt, an dieser Gnade, an dieser Fülle teilzuhaben. Und dass wir daraus etwas für eine andere Art zu Wirtschaften lernen können.

 

Was für einen Unterschied macht es, wenn ich mir Beeren kaufe oder sie geschenkt bekomme? Robin Wall Kimmerer schreibt, dass sie gemeinsam mit den Vögeln ihre Dankbarkeit in den Himmel singt. Ich weiß jetzt nicht, wie Sie normalerweise einkaufen gehen, aber meist singe ich, wenn, dann zu der Musik in meinen Kopfhörern mit und versuche die schlechte Playlist im Supermarkt zu übertönen. Dankbar bin ich höchstens den Verkäufer:innen gegenüber, wenn sie sich Zeit für ein, zwei nette Worte nehmen.

 

Wenn mir aber eine Kollegin Rhabarber aus ihrem Garten mitbringt, einfach weil sie an mich gedacht hat, freue ich mich und bedanke mich nicht nur höflich, sondern von ganzem Herzen. Und das nächste Mal, wenn ich sie sehe und aus dem Rhabarber Kuchen gebacken habe, nehme ich ihn mit und teile den Kuchen mit ihr und Tobias Funke, der mit mir im Büro sitzt.

 

Im Gegensatz zum Tauschen von Leistung oder Geld für eine Gegenleistung bringt freigiebiges Schenken so viel mehr hervor: Freude, Dankbarkeit, es steckt an und führt zum weiteren Schenken, zu Großzügigkeit. Schenken weitet unsere Herzen. Nicht nur für andere Menschen, sondern auch für die Orte, an denen wir uns bewegen oder sogar für Gegenstände: das Stirnband, das mir eine Freundin gestrickt hat, hat für mich eine ganz andere Bedeutung als eins in der gleichen Farbe, das ich irgendwann mal gekauft habe.

 

Die Welt als Geschenk zu benennen schafft Bezugspunkte und knüpft Fäden der Wertschätzung. Die Welt als Geschenk zu erleben, bedeutet sich in einem Netz von Beziehungen wiederzufinden. Sich so einem Beziehungsnetz zugehörig zu fühlen ruft Geborgenheit und Glück hervor und ruft gleichzeitig in die Verantwortung.

 

Paulus schreibt: Wie ihr aber in allen Stücken reich seid, im Glauben und im Wort und in der Erkenntnis und in allem Eifer und in der Liebe, die wir in euch erweckt haben, so gebt auch reichlich bei dieser Wohltat. bzw. heißt es etwas wörtlicher übersetzt: „…damit auch ihr überströmt in diesem Werk der Gnade“. Dieses überbordende, über die Ufer tretende der Gnade, des Reichtums, erst diese Fülle ist ausschlaggebend für Paulus’ Aufforderung, den Worten Taten folgen zu lassen. Und perisseuma, also das griechische Wort für Fülle, bedeutet nicht einfach nur eine große Menge, sondern beschreibt einen Überfluss, an dem man sich erfreut, der das Herz füllt.

 

Früher habe ich es ehrlich gesagt mehr oder weniger belustigt überlesen, wenn Paulus die Gemeinden um Geld bittet — von einer Freundin habe ich neulich im Gespräch gehört, dass sie sogar an so eine Art betrügerisches Schneeballsystem gedacht hat, wenn Paulus anfing, für die anderen Gemeinden Geld zu sammeln. Erst als wir diesen Briefausschnitt neulich im Lesekreis besprochen haben, ist uns aufgefallen, wie heftig sich Paulus nicht nur für eine strukturierte Theologie, sondern auch für eine Gesellschafts- oder zumindest Gemeindeordnung einsetzt, die der Gnade Jesu entspricht.

 

Und deswegen reicht es gerade nicht, es nur gut zu meinen und beim Wollen zu bleiben. Wenn wir in der Gnade Gottes leben wollen, an dieser von Gott geschenkten Fülle teilhaben wollen, dann muss diese sichtbar und spürbar sein — und dafür müssen wir ins Handeln kommen. Das ist in erster Linie gar kein moralisches Argument, sondern ein logisches. Denn ich kann noch so viel von Barmherzigkeit reden, wenn ich im nächsten Konflikt von der Gegenseite wieder nur das Schlimmste erwarte und nicht einmal versuche, mich in die andere Person hineinzuversetzen und nur bei mir und meinen Bedürfnissen bleibe, dann kann ich das Wort Barmherzigkeit eigentlich auch gleich weglassen. Und so ist es eben auch mit der Gnade bzw. mit der Fülle: sie muss gelebt werden, damit sie real wird.

 

Nun aber vollbringt auch das Tun, damit, wie ihr geneigt seid zu wollen, ihr auch geneigt seid zu vollbringen nach dem Maß dessen, was ihr habt.

 

Der Maßstab dafür, was genug ist, ist spannenderweise nicht, was wir wollen, sondern, was wir haben.

 

Und ich glaube, das ist ein richtig spannender Punkt für die meisten, die wir in der Landeskirche oder auch hier in Deutschland leben. Wenn es um Kollekten oder die Diakonie geht, kommen wir schnell in so ein Mitleidsgefälle: den anderen geht es schlecht, natürlich wollen wir da helfen. Und dann geben wir mal 2 Euro, mal 5, vielleicht auch mal 50 oder 100, wenn wir sehr großzügig sind. Haben Sie sich schon mal überlegt, in welchem Verhältnis solch eine Spende zu dem steht, was Sie auf dem Konto haben bzw. Was die Person oder Organisation hat?

 

Paulus betont, dass es beim Teilen von Geld und Gütern nicht um Mitleid oder um eine Geste der Demut geht! Sondern um einen Ausgleich, bzw. Steht das griechische Wort isotetos für Rechtsgleichheit.

 

(Ganz ehrlich, mir war Paulus noch nie so sympathisch wie in diesem Briefkapitel)

 

So steht geschrieben, wer viel sammelte, hatte keinen Überfluss, und wer wenig sammelte, hatte keinen Mangel. Es soll jede und jeder soviel bekommen, wie sie brauchen. Und es soll nicht nur genug geben, sondern es gibt genug!

 

Die Stelle, auf die Paulus sich bezieht, ist keine andere als die Geschichte vom Manna. „Mose aber sprach zu ihnen: Es ist das Brot, das euch der Herr zu essen gegeben hat.

Das ist’s aber, was der Herr geboten hat: Ein jeder sammle, soviel er zum Essen braucht, einen Krug voll für jeden nach der Zahl der Leute in seinem Zelte.“

 

Gott stellt eine Menge an Manna zur Verfügung und gebietet, dass es so aufgeteilt wird, dass niemand zu wenig oder zu viel hat. Wenn Paulus dazu aufruft, die Reichtümer, die man selbst hat, mit anderen zu teilen, dann geht es ihm nicht um eine mitleidige Spende. Er schreibt: Jetzt helfe eure Fülle ihrem Mangel ab, damit auch ihre Fülle eurem Mangel abhelfe und so ein Ausgleich geschehe. Es geht darum, wie wir mit Gottes Hilfe so miteinander leben können, dass jede und jeder genug hat.

 

Am Anfang habe ich behauptet, dass wir aus der Bibel etwas mitnehmen können, wenn es um die Organisation von Gesellschaft und Wirtschaft in unserem Kontext geht.

 

Und zwar glaube ich, dass die meisten von uns — mich eingeschlossen — immer noch irgendwie davon ausgehen, dass wir nicht genug für uns alle auf der Erde haben. Dass wir in einer Welt des Mangels leben. Und klar, wenn wir uns umsehen oder Nachrichten lesen, drängt sich dieser Eindruck geradezu auf. Aber wenn wir darauf schauen, wie sich Gott uns immer wieder offenbart, zeigt sich eine ganz andere Wirklichkeit: in der Schöpfung, die übervoll ist mit Leben, in FairTeilern, also Lebensmitteltauschschränken, wo das überflüssige Brot kaum verteilt werden kann, weil es so viel ist, oder in der Bibel, die voll ist mit Geschichten darüber, wie Gott Menschen in den verschiedensten Situationen versorgt hat, und mit Bibelstellen, die uns zusprechen: was sorgt ihr euch, was ihr morgen esst? Gott wird euch versorgen.

 

Die zweitgrößte Lüge, der wir aufsitzen, ist, dass der Mangel, den wir sehen, natur- oder gottgegeben ist. Und dass, wenn wir uns nur genug anstrengen, wir entweder diesem Mangel entkommen oder gar nicht erst in die Lage kommen.

 

Die größte Lüge ist, dass es nicht anders geht und die Welt so laufen muss, wie sie derzeit organisiert ist.

 

Heute strukturiert die 40-Stunden-Woche in bezahlter Arbeit unser Leben. Sich um Familie, Freundschaften, den Garten oder die Nachbarschaft zu kümmern, muss zur Nebentätigkeit werden. Wir leben heute nicht unbedingt in kleinen Gruppen, in denen Großzügigkeit und gegenseitige Wertschätzung die Grundlage unserer Beziehungen bilden. Aber wir könnten solche Gruppen oder Gemeinschaften aufbauen.

 

Es liegt in unserer Macht, solche Netze außerhalb der Marktwirtschaft aufzubauen, Netze der gegenseitigen Abhängigkeit, intentionale Gemeinschaften, in denen Schenken und Teilen die Währung ist.

 

Fangen wir also an damit, solche Beziehungen aufzubauen! Solche Netze zu spinnen oder zu stärken, wo sie schon vorhanden sind. Räume zu öffnen, in denen wir unser Hab und Gut, unsere Kenntnisse und unser Leben teilen. Und vor allem, nicht beim Kleidertausch stehenzubleiben, sondern lasst uns auch die harten Nüsse knacken. Wenn es ein Genug gibt, was ist dann zu wenig? Was ist zu viel? Und wer von uns besitzt das eigentlich? Gönnen wir es anderen eigentlich, bedingungslos etwas geschenkt zu bekommen? Gönnen wir es uns?

 

Ich glaube bei all diesen Fragen stehen wir erst am Anfang. Aber ich glaube auch, dass wir in Kirchgemeinden dafür nicht nur die Samen, sondern sogar schon vorgezogene Keimlinge haben, die wir nur noch aussetzen und genügend Raum zum Wurzeln geben müssen. Und ich glaube, dass es keinen besseren Zeitpunkt dafür gibt als jetzt.

 

Zum Abschluss möchte ich deswegen noch einmal Paulus zu Wort kommen lassen, der für mich zum Vorreiter dafür geworden ist, eine neue Gesellschaft in den Hüllen einer alten aufzubauen:

 

„Als Gottes Mitarbeitende bitten wir euch aber auch: Lasst die Gnade, die Gott euch schenkt, in eurem Leben nicht ohne Auswirkung bleiben.

Denn Gott hat gesagt: “Ich habe dich zur willkommenen Zeit erhört und habe dir am Tage des Heils geholfen.“

 Siehe, jetzt ist die willkommene Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!“

 

Lasst uns heute also aus Gottes Fülle schöpfen, wenn wir diesen Inspirationstag feiern, und uns gegenseitig dazu ermutigen, diese Fülle weiter zu verschenken.

 

„Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.“

 

Amen

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