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Der überforderte Mensch

Dr. Andreas Meißner
Dr. Andreas Meißner

Warum wir in der Ökokrise (bisher) scheitern

 Vortrag von Dr. Andreas Meißner, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie vom 10. März 2020 in der Himmelfahrtskirche München-Sendling

 

Eine kleine Frage zu Beginn: Glauben Sie, unsere Kultur wird sich freiwillig zu einer nachhaltigen Lebensweise bekehren? Vielleicht regt sich leise Skepsis an dieser Stelle – zu Recht, wie wir noch sehen werden.

 

Wir wissen und sehen, was schief geht. Die Temperaturen und der CO2-Gehalt der Atmosphäre steigen weiter. Flugreisen, Übernutzung schwindender Böden sowie Überfischung und Plastik in den Meeren werden weiter zunehmen, die Artenvielfalt dafür weiter abnehmen. Und das trotz aller Konferenzen, Beschlüsse und Tagungen, die es zu all dem schon gegeben hat. Allein seit der Umweltkonferenz in Rio 1992 ist der jährliche CO2-Ausstoß weltweit um zwei Drittel gestiegen, von 22 auf 37 Gigatonnen jährlich.

 

Das Gute ist: immer mehr Menschen erkennen, dass etwas getan werden muss, und setzen sich dafür ein, in vielen Initiativen, oder auf Demonstrationen. Greta Thunberg und die Friday-for-future-Bewegung stoßen auf große Resonanz. Das Kritische aber ist, dass schnell etwas getan werden müsste, und das weltweit. In Deutschland wurde zwar nach Fukushima der Atomausstieg beschlossen, auch dank der vielen Proteste dazu die Jahrzehnte vorher; weltweit aber werden weiter Kernkraftwerke gebaut. Protest allein ist also keine Garantie für Veränderung, dies vorweg.

 

Viel Wissen und wenig Handeln – Hirn und Psyche spielen nicht mit

 

Wir wissen um Klimawandel, Artensterben und Rohstoffknappheit, und handeln doch nicht entsprechend. Warum ist das so, und was folgt daraus?

 

Ich bin seit 18 Jahren in München niedergelassener Psychiater und Psychotherapeut. Weiter bin ich, wie Sie wohl auch, umweltbesorgter Bürger, und daher Mitglied im Bund Naturschutz, im Verein für Nachhaltigkeit und in einer ökologisch orientierten Partei; 2015 habe ich in Trudering eine Transition Town Initiative mitgegründet.

 

Meine Familie bezieht seit 20 Jahren eine Ökokiste, wir betreiben eine Photovoltaikanlage auf dem Dach, das Wasser wird von der thermischen Solaranlage gewärmt, wir kaufen fast nur im Bioladen ein, ich fliege nicht mehr seit 2006 und schaffe es auf 3000 Kilometer jährlich mit dem Fahrrad, überwiegend durch die Arbeitsstrecke.

 

Und trotzdem: mein CO2-Fußabdruck liegt noch bei neun Tonnen pro Jahr – maximal zwei sollten es sein, rund elf Tonnen sind es jedoch durchschnittlich in Deutschland. Die Welt habe ich also mit meinen Bemühungen noch nicht gerettet. Das eigene Umweltbewusstsein ist hoch, das Handeln aber reicht bisher nicht aus.

 

Das deckt sich mit Umfragen in der deutschen Bevölkerung, wonach viele Menschen bereit sind, weniger Fleisch zu konsumieren, mehr zu Fuß zu gehen oder mit dem Rad zu fahren.[1]

Weniger fliegen wollen jedoch nur 46 Prozent der Befragten.[2] Sechs von sieben Deutschen befürworten den ökologischen Landbau, der Anteil der Bio-Lebensmittel liegt aber kaum über fünf Prozent. Die gefahrenen privaten PKW-Kilometer sind von 2005 bis 2016 um rund 10 Prozent gestiegen, ähnlich die Inlands-Flugkilometer. International liegt der Anstieg hier deutlich höher, ebenso die Prognose für die nächsten 30 Jahre. 2019 hieß es im Deutschlandtrend, 85 Prozent der Befragten seien der Meinung, dass der Klimawandel ohne Einschränkungen im Lebensstil nicht zu stoppen ist; die Einführung einer CO2-Steuer aber lehnt eine deutliche Mehrheit, nämlich 62 Prozent, ab.[3]

 

Einmalig, komplex und global – mentale Überforderungen

Insgesamt ist somit viel Wissen um die Umweltkrisen vorhanden – das Handeln folgt dem bisher kaum. Warum ist das so? Psychologische Aspekte spielen dabei eine entscheidende Rolle. So mag ein Grund für diese Diskrepanzen sein, dass wir von Geist und Seele her nur eingeschränkt in der Lage sind, die Ökokrise angemessen wahrzunehmen. Der direkte Sinnesbezug fehlt. Würde der Klimawandel stinken, würden wir sofort etwas dagegen unternehmen. So aber sind seine Folgen hierzulande immer noch wenig zu spüren oder teilweise noch zu weit weg, auch wenn von der Dürre betroffene Bauern oder von Überschwemmungen betroffene Bürger das wohl nicht so sehen werden.

 

Und an schleichende Veränderungen gewöhnt man sich, ob an die neue Umgehungsstraße, versiegelte Flächen, häufigere Stürme oder wärmere Temperaturen. „Shifting baselines“ nennt man das. Der Begriff beschreibt, wie sich die Ausgangsposition für nachfolgende Generationen verschiebt, für die Umgehungsstraßen, weniger Insektengesumme und wärmere Temperaturen dann ganz normal sind. Ein Verlustgefühl hinsichtlich einer früheren noch intakteren Umwelt, das zum Handeln antreiben könnte, spüren sie dabei nicht.

 

Der Sozialpsychologe Daniel Gilbert hat auf den Punkt gebracht, was zum Handeln motivieren würde. So müsste die Krise einen persönlich betreffen, abrupt und jetzt auftreten, nicht erst in irgendeiner Zukunft, sowie unmoralisch sein. All das trifft auf die meisten Umweltprobleme allenfalls teilweise zu.[4] Denn es ist ja auch kein Diktator für den Klimawandel verantwortlich – demonstrieren müssten wir da schon eher gegen uns selbst und unsere Konsumgewohnheiten.

 

Zudem liebt unser Gehirn einfache Lösungen und gleicht immer mit Vorerfahrungen ab, es mag am liebsten eine Ursache für ein Problem – die Ökokrise aber ist komplex, historisch einmalig und multikausal. Auch kam es ja evolutionär nur darauf an, nahe Räume und allenfalls den nächsten Winter zu bedenken, und nicht die ferne Zukunft und die ganze Welt. Daher halten wir eher an alten Konzepten fest (etwa mit dem Versuch, wieder neue Techniken zur Problemlösung zu finden), die aber für die neue Situation ungeeignet sein könnten.

 

Und ein letztes Hindernis für eine adäquate Wahrnehmung der Umweltprobleme sei genannt: wie ein Filter schiebt sich das Smartphone zwischen Mensch und Natur, und verschafft uns ein Dasein in anderen Welten, das wir zwar durch Filme und Bücher früher auch erleben konnten, aber nicht in dieser Häufigkeit und Intensität. Über 80 Mal täglich greifen Smartphonebesitzer zu ihrem Gerät, über 50 mal täglich wird es dann auch entsperrt. Unser ganzes Leben organisieren wir darüber. Es steht, wie auch der Branchenvertreter bitkom angibt, mittlerweile für einen „Multi-Milliarden-Markt“.[5] Hier wird nun gar schon von einem „Smartphone-Ökosystem“ gesprochen. Es wird wohl tatsächlich immer mehr unsere natürlichen Ökosysteme ablösen, scheint es.

 

Widersprüchliche Motivationen und Einstellungen

Die Krisensymptome werden weiterhin gerne verdrängt und verleugnet. Wir mögen keine Unlustgefühle, und bringen daher ja schon unseren Kindern bei einer Wunde bei, dass es schon nicht so schlimm ist und kaum mehr weh tut. Gerne lasse ich mir dann einreden, dass wir das schon hinbekommen - Psychologen nennen das eine Kontrollillusion. Dadurch aber ist die Krise mental schnell wieder weit weg – und wieder nichts dagegen getan.

 

Zum Einkauf im Bioladen mag es da noch reichen. Jedoch ist das Gewissen, wie Studien zeigen, schnell durch eine einzige gute Tat beruhigt – man kann es danach wieder etwas lockerer angehen lassen. Bin ich heute engagiert mit dem Zug gefahren, gönne ich mir morgen das Buchen einer Flugreise. Experten bezeichnen dieses Phänomen als „Einmal-Handlung“.

 

Menschliche Motivationen und Einstellungen sind somit instabil, inkonsistent, oft auch widersprüchlich. Etwas konsequent durchzuhalten fällt uns daher schwer – es sei denn, der Leidensdruck ist hoch genug. Aber auch aufzuhören zu rauchen kann eine (zu) hohe Anforderung sein.

 

Bin ich doch einigermaßen konsequent, und fliege etwa nicht mehr, fühle ich mich nicht mehr wohl im Kreis meiner Freunde, die sich stolz die Bilder ihrer Fernreisen zeigen. Irritiert schauen wir somit auf die, die weiterhin unbekümmert konsumieren und reisen, und hadern damit, sie darauf anzusprechen, und damit das Risiko einzugehen, als moralinsaurer Ökospießer Freundschaften zu riskieren. Mein Gruppen-Zugehörigkeitsgefühl - ein elementar-menschliches Grundbedürfnis, wohl aus unseren evolutionären Wurzeln heraus - ist also mehrfach bedroht. Auch das kann eine Hürde sein.

 

Ebenso wie die Angst vor Veränderungen, insbesondere vor Verlust und Verzicht. Wenn die Nachbarn weiter in Urlaub fliegen oder durch eine CO2-Steuer dies reicheren Menschen weiterhin möglich ist, mir aber nicht, empfinde ich das als ungerecht. Für ein nötiges gemeinsames Ärmel-Hochkrempeln, um die schwierigen Ökoprobleme anzupacken, ist aber ein faires Geben und Nehmen eine wichtige Voraussetzung.

 

Diese nötige Kooperation aber bezieht sich meist ebenso wie Empathie nur auf die jeweils nahestehende Gruppe von Artgenossen, also auf die eigene Familie, das Heimatdorf, die Stadt oder das Land. Donald Trump knüpft mit seinem Leitspruch „America first“ genau hier erfolgreich an. Stammesgeschichtlich sind wir eben geprägt vom Leben in Kleingruppen.

 

Nun hatten wir ja mit dem Klimaabkommen 2015 von Paris ein positives Beispiel guter globaler Zusammenarbeit. Aber: vieles dabei ist unverbindlich geblieben, für ein Verfehlen der Ziele sind keine Sanktionen geregelt, und die Politiker waren trotz allen guten Willens nach ihrer Rückkehr wieder den heimatlichen Einflüssen und somit auch wieder ihren eigenen widersprüchlichen Motivationen ausgesetzt. Was die Umsetzung der Beschlüsse bisher eher behindert hat.

 

Überforderung im Alltag

Und eigentlich sind wir sowieso schon ausgelastet durch den Alltag, durch die Arbeit, den Haushalt, die Beziehung, die Kinder und das kaputte Auto. Das menschliche Sorgenreservoir ist begrenzt, auch das ist wissenschaftlich untersucht. Die Meldungen etwa zu Klimawandel und Artensterben erzeugen zudem Ohnmachtsgefühle und Resignation, lähmen also eher.

 

Und überfordert sind wir oft auch durch die vielen Möglichkeiten heutzutage, etwa im Supermarkt, im Internet, im Fernsehen oder Freizeitbereich, was immer Entscheidungen für etwas und gegen vieles erfordert, was immer das Risiko beinhaltet, etwas zu verpassen. Heute verfügt ein durchschnittlicher Haushalt über 10.000 Gegenstände, die alle aufbewahrt, geordnet und bestenfalls auch genützt sein wollen. Vor 100 Jahren waren es allenfalls 180 Gegenstände gewesen. Zugespitzt wird heute schon von einem „Konsumburnout“ gesprochen.

 

Den anderen, „normalen“, Burnout kennen wir ja besser. Wir schlafen heute nur noch sieben Stunden täglich, vor 100 Jahren waren es noch neun. Die Arbeit in modernen Industrielandschaften vermittelt wenig Sinnbezüge. Jeder siebte Arbeitsplatz hängt direkt oder indirekt von der Autoindustrie ab, die nun mal erheblichen Anteil an der Ökokrise hat. Wir fühlen uns gestresst, leiden unter Reizüberflutung oder gar Hochsensibilität, kommen den Mails und Whatsapp-Nachrichten kaum noch hinterher, haben online viele Freunde, und leben dennoch in zunehmend instabilen sozialen Beziehungen.

 

Wenn deutsche Kinder und Jugendliche heute über drei Stunden täglich vor Bildschirmen verbringen und 75 Prozent der 10-Jährigen ein eigenes Handy haben, ist das weder psychisch noch ökologisch förderlich. Depressionen sowie Gefühle von Einsamkeit nehmen Statistiken zufolge unter Kindern und Jugendlichen deutlich zu (ganz abgesehen von anderen Smartphone-Folgen wie Kurzsichtigkeit, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen).

 

Eine Medienpsychologin meinte aktuell im SPIEGEL: „In der Pubertät brauchen Jugendliche ja tatsächlich ihre eigenen Erfahrungsräume, wo sie fern der Erwachsenen abhängen können. Im Digitalen finden sie solche Räume heute oft leichter als in der physischen Realität.“[6] Zitat Ende. Es stellt sich dabei, nur die Frage, warum es diese Räume in der Außenrealität nicht mehr gibt, und wenn doch, warum wir sie ihnen nicht mehr gewähren wollen. Brauchen wir bei zunehmend zerstörter Umwelt die virtuellen Welten etwa gar als Ersatz-Erlebnis-Raum? Offenbar, denn diese digitalen Erfahrungsräume werden nun auch immer mehr in die Schulen getragen. Man hat dabei aber eher den Eindruck, hier wird auf das spätere Dasein im Großraumbüro vorbereitet.

 

Bedeutung der Beziehung zur Natur

Wir Erwachsenen sind da nicht viel besser. Der Bezug zur Natur ist uns oftmals verloren gegangen, wir können kaum mehr antizipieren, dass uns Bewegung und Aufenthalt im Freien gut tun würden – mehr als innen zu bleiben und vor dem Bildschirm zu sitzen. Eine Studie hat das 2011 schön gezeigt.[7] So mancher fährt dann eben am Samstagmorgen doch wieder mit dem Auto zum Bäcker.

 

Die beim Aufenthalt in der Natur entstehenden, zumeist positiven Gefühle bewusst zu machen ist wichtig, wirkt Natur doch auch antidepressiv. Wer viel Grün in 1 km Umkreis um seine Wohnung hat, hat ein deutlich geringeres Risiko, unter Angststörungen oder Depressionen zu leiden. Wer nach einer Operation aus dem Klinikfenster auf Grün statt auf Beton schauen kann, benötigt weniger Schmerzmittel und kann eher entlassen werden.

 

Eine Beziehung zur Natur und das Erleben guter Gefühle dabei wäre auch eine wichtige Voraussetzung dafür, sich mehr für ihren Erhalt engagieren zu wollen. Diese Beziehung zu stärken, ist daher fast schon der einzige Lösungsvorschlag, den ich anbieten kann. Der Einzelne ist ansonsten überfordert von der Komplexität der Aufgabe, das Durchhalten schwer. Zu viele Dinge gäbe es dabei zu bedenken, zu widersprüchlich sind innere Motivationen und Einstellungen und damit auch Handlungen.

 

 

 

Alles, was Spaß macht, erzeugt CO2

Dazu kommt ja, dass quasi alles, was Spaß macht, CO2 erzeugt. Autofahren, Reisen, Internet, Wärme. Meinte kürzlich Birgit Schneider, Professorin für Medienökologie an der Uni Potsdam.[8] Sie weist auch darauf hin, dass unser CO2-intensiver Lebensstil alles durchdringt. CO2 ist unser Lebenselixier.

 

Daher ist auch der von Umweltpsychologen geäußerte Vorschlag, die nicht-materielle Zufriedenheit zu fördern[9], zwar gut, aber wirkungslos. Wer sollte sie denn fördern, in einer Gesellschaft, für deren Wohlstand Konsum und Wirtschaftswachstum Voraussetzung sind, und deren oft betonte Fortschritte wie weniger Hunger, längere Lebenszeit und bessere Bildung vor allem auf der Verwendung fossiler Energien beruhen, deren Folgen wiederum uns jetzt zu schaffen machen!

 

Und vor allem: Die meisten Menschen sind mit dem derzeit praktizierten Lebensstil, zu dem Fernreisen ebenso zählen wie der Konsum neuester Technik, durchaus zufrieden. Sie wollen nicht vorgeschrieben bekommen, auf andere Weise glücklicher werden zu sollen.

 

Somit stellt sich die Frage, wie wahrscheinlich es ist, dass solche therapeutischen Umerziehungsprozesse, deren Protagonisten bisher kaum existieren und die meist lange Zeit brauchen, schnell genug erfolgreich sein werden? Einem zu schnell fahrenden Fahrer jedenfalls wird die Beifahrerin auch nicht erst langwierig die Vorzüge der Entschleunigung vortragen, sondern ein sofortiges Bremsen anmahnen.

 

Beispiel Klimawandel: Experten sagen, dass wir, wollen wir noch unter einer Erwärmung von zwei Grad bleiben, die Treibhausgasemissionen jährlich um mindestens drei Prozent reduzieren müssen, um 2050 CO2-frei zu sein.[10] Das würde einem einigermaßen raschen Bremsen entsprechen. Damit müsste aber auch das Bruttoinlandsprodukt um mindestens drei Prozent jährlich gesenkt werden! Denn Wirtschaftswachstum ist immer noch mit CO2-Ausstoß gekoppelt. Aus Wachstum würde dann aber Schrumpfung.

 

Hoffnung auf Politik?

Wenn also schon der Einzelne mit der Komplexität der Anforderungen überfordert ist, müssten nicht wenigstens Politiker die nötigen Leitplanken setzen? Schauen wir nochmals auf den Klimawandel: nur eine konsequent und mit möglichst wenigen Ausnahmen am besten gleich global eingeführte CO2-Steuer wird den Verbrauch an fossilen Energien mit all ihren Folgeschäden effektiv bremsen können. So hat es momentan den Anschein. Friday-for-future fordert hierfür 180 Euro pro Tonne und orientiert sich an Berechnungen des Umweltbundesamts orientieren. Von der Wissenschaft werden die Zahlen bestätigt.

 

Wie wahrscheinlich aber ist es, dass wir über diese politischen Notwendigkeiten schnell genug, und in vielen Punkten auch global einen Konsens herstellen – und diesen sofort umsetzen? Natürlich könnten wir in Deutschland durch die Einführung einer solchen Abgabe wieder eine Vorreiterrolle einnehmen. Aber ob das reicht? Werden nicht eher Gelbwesten und andere Gruppierungen heftigst dagegen protestieren, und die Politik, getrieben dadurch, einknicken? Von den widersprüchlichen Motivationen und Einstellungen, denen auch Politiker unterworfen sind, war ja schon die Rede.

 

„Problem erkannt, Lösung vertagt“, so wirken derzeit viele Meinungsäußerungen von Politikern. Allerdings war so schon vor 30 Jahren ein Zeitungsbeitrag des damaligen niedersächsischen Umweltministers Werner Remmers betitelt.[11] Er hatte darin etliche Gründe aufgeführt, warum die Politik sich bei der Bekämpfung globaler Gefahren so schwer tut.

 

So müsste sie grenzüberschreitend handeln, und eine Vielzahl von Vorschriften erlassen, die sie gar nicht alle kontrollieren kann. Auch würden zumeist akute Krisen die Aufmerksamkeit binden und dadurch den Blick auf längerfristige Entwicklungen verstellen (wie die Corona-Virus-Krise 2020 anschaulich wieder zeigt). Hinderlich, so der Autor, seien zudem verfestigte und ausdifferenzierte Strukturen in Politik, Verwaltung und auch bei den Sozialpartnern.

 

Remmers forderte schließlich damals schon, 1989, ein hohes Rohstoff- und Energiepreisniveau, und auch die Einpreisung von späteren Entsorgungskosten in den Kaufpreis eines Produkts. Sein optimistisches Fazit: „Derzeit zeichnet sich ein breiter politischer Konsens für den Einsatz ökonomischer Instrumente im Umweltschutz über Parteigrenzen hinweg ab. Ich hoffe, dass dieser Konsens tragfähig genug ist, um die Belastungen, die mit jedem Strukturwandel verbunden sind, auszuhalten.“[12]

 

Von einem solchen Konsens sind wir allerdings auch heute, 30 Jahre später, noch weit entfernt. Umweltpolitisch geschehen ist in der Zwischenzeit nicht allzu viel. Der Atomausstieg ist zwar erfolgt, der Anteil erneuerbarer Energien nimmt zu, aber eine grundlegende Wende ist das noch nicht. Zuviel Strom kommt noch aus schmutzigen Kohlekraftwerken, Reboundeffekte beim Energie- und Kraftstoffbedarf machen Einsparungen mehr als wett, und Flugreisen nehmen weiter zu.

 

Den Politikern geht es somit ähnlich, zur Existenzabsicherung müssen sie zudem ihre Macht sichern und somit unbequeme Entscheidungen vermeiden, die noch dazu unangenehme Bewegungen ins Leben rufen oder populistische Strömungen verstärken könnten.

 

Hoffnung auf unerwartete Entwicklungen?

Als Zwischenfazit bleibt somit festzuhalten, dass nicht nur der Einzelne mit der Vielfalt der nötigen Handlungen überfordert ist, die Politik ist es offensichtlich auch. Aber gibt es nicht allzu oft unerwartete Entwicklungen, die ihrerseits eine Eigendynamik entwickeln?

 

Friday-for-future, mittlerweile auch mit vielen Erwachsenengruppen, wäre vor geraumer Zeit noch undenkbar gewesen. Jedoch haben sich auch Rechtspopulismus und Demokratiemüdigkeit in die westlichen Industriestaaten eingeschlichen. Möglich ist also Vieles, nicht nur Gutes.

 

Andererseits sehen wir derzeit eine Eigendynamik bei basisdemokratischen Prozessen. Volksbegehren und Bürgerentscheide sind gerade in Mode, und geben den Einzelnen mehr Möglichkeiten politischer Mitbestimmung. Vielleicht wäre das die vielgesuchte Verbindung zwischen Bürgern und Politik. Auch die Idee von Bürgerräten als demokratisches Zusatzinstrument, nach Zufallsprinzip besetzt, unabhängig von Lobbyeinflüssen und Wieder-Gewählt-Werden-Wollen, hat großen Charme. In Irland ist dies schon erfolgreich praktiziert worden. Das funktioniert wohl auch deshalb, weil Menschen sich in sozialen oder ökologischen Belangen in der Gruppe oft anders entscheiden als alleine. Studien haben gezeigt, dass wir uns dabei unbewusst eher daran erinnern, dass unser Verhalten Konsequenzen für andere hat.

 

Eine Eigendynamik hat aber auch die vor 30 Jahren noch unvorstellbare Digitalisierung, die jedoch nicht zwangsläufig zur Menschheitsrettung beiträgt. „Auch das Internet hat einen Auspuff“, hieß es passenderweise in einem Zeitungsbeitrag Anfang 2018.[13] Das Internet, wäre es ein Land, hat sich beim Energieverbrauch weltweit innerhalb von fünf Jahren von Platz 6 jetzt schon auf Platz 3 vorgeschoben. Serveranlagen müssen gekühlt, exorbitant zunehmende Datenmengen energieintensiv übertragen werden.

 

Daher gilt auch hier: „So viel Digitalisierung wie nötig – so wenig wie möglich!“ Vorgeschlagen hat dies der Nachhaltigkeitsforscher Tilman Santarius.[14] Die oft beschworene Nachhaltigkeit werden wir jedenfalls auch mit der ebenso oft beschworenen Digitalisierung nicht erreichen können.

 

Welche Ausgangsbasis für Nachhaltigkeit sollte es angesichts der schon eingetretenen weltweiten Umweltschäden auch schon geben? Die heutige etwa, mit 75 Prozent weniger Insekten, dafür anhaltender Flächenversiegelung in Größenordnung von 15 Fußballfeldern täglich allein in Bayern? Mit Temperaturen von über 50 Grad tagelang in pakistanischen und iranischen Städten im Sommer 2018? Mit Monokulturen auf den Feldern und Verkehrsstaus in den Städten, mit neun Millionen Todesfällen aufgrund Umweltverschmutzung weltweit allein 2015?

 

Oder wollen wir die Ausgangsbasis von vor 30 oder 40 Jahren nehmen, als wir zwar auch nicht mehr in der Steinzeit lebten, aber eben keine Smartphones, kein Internet, und keine Globalisierung wie heute hatten? Die Dinge verändern sich schleichend, was heißt da dann Nachhaltigkeit, also nicht mehr verbrauchen als nachwachsen kann, und damit die Bewahrung guter Lebensbedingungen auch für zukünftige Generationen?

 

Auch vom Scheitern sprechen

 

Einzelne und Politiker sind überfordert, technologische Lösungen trügerisch, zumeist selbst wieder Folgeprobleme auslösend, und auf unerwartete Entwicklungen ist kein Verlass. Daher, auch wenn es unangenehm ist, sollten wir so ehrlich sein und auch vom Scheitern sprechen. Daran mag jedoch keiner denken, und noch viel weniger darüber reden.

 

Auch wenn Dennis Meadows, einer der Autoren des Berichts an den Club of Rome 1972, „Die Grenzen des Wachstums“, schon vor 20 Jahren meinte, für Nachhaltigkeit sei es zu spät.[15] Auch wenn der renommierte Ökologe Wolfgang Haber uns daran erinnert, dass uns die ökologischen Selbstregulierungen wieder einholen werden, ohne dass wir es verhindern können.[16]

 

Von Ökosystemen und deren Komplexität wollen wir oft ebenso gar nicht so viel hören. Klimawandel, Artensterben, Plastikprobleme oder vermehrte Landnutzung führen jedoch heute schon zu ökologischen Rückmeldungen, Naturkatastrophen haben deutlich zugenommen. Das heißt aber, wir befinden uns bereits im Scheitern!

 

Nicht zuletzt durch die Nutzung der fossilen Energien hat sich der industrialisiert lebende Mensch Wohlstand und Bequemlichkeit geschaffen, sich damit aber auch in eine Sackgasse befördert, aus der er so einfach nicht herauskommt. Der nötige Wandel nämlich kann kein „weiter so, nur mit anderen Mitteln“ sein. Statt Benzinern nun E- oder Wasserstoffautos zu kaufen, wird nicht genügen.

 

Der Sozialpsychologe Harald Welzer berichtet, wie er sich auf einer Konferenz zur Lage des Klimas für den Workshop mit dem Thema „What, if we fail?“ eingetragen hatte, und er dann neben dem Themenanbieter der einzige Teilnehmer war.[17] Beliebt ist das Thema also nicht.

 

Und doch sollten wir vielleicht daran denken, welche Veränderungen - klimatisch, sozial, politisch - bei einer Erwärmung um zwei oder drei Grad oder mehr auf uns zukommen. Was werden auch das Artensterben und der weitere Bodenschwund bewirken, gerade auch hinsichtlich der Ernährung? Worauf müssen wir uns einstellen, wie können wir die Widerstandskräfte stärken, resilient werden, also uns anpassen an das, was schon gekommen ist und noch kommen wird? Die Forderung mancher Experten, Klima-Notstandsgesetze zu verabschieden, erscheint da nicht übertrieben. Einzelne Städte, wie London, Konstanz oder Kiel, oder auch das Europäische Parlament, haben das bereits umgesetzt.

 

Das Nachdenken über das Scheitern ist unangenehm, es kränkt geradezu unsere innere Überzeugung, als höchstentwickeltes Geschöpf der Evolution doch über allem zu stehen und alles im Griff zu haben. Auch lähmen solche negativen Szenarien, wie schon deutlich wurde. Pessimismus sei nicht angemessen, heißt es an dieser Stelle oft. Blinder Optimismus jedoch ebenso nicht, wäre dem zu entgegnen. Schöne Zukunftsbilder helfen nicht weiter, wenn sie dabei eine schöne Möglichkeit, aber keine Dringlichkeit suggerieren.[18] Wir Umweltschützer, und da zähle ich mich durchaus dazu, haben jahrelang versucht, positive Szenarien zu entwerfen, wie schön eine nachhaltige Welt doch sein könnte, mit weniger Autos in der Stadt, mit mehr Grünflächen, mehr Ruhe und Zeit.

 

Die Botschaft dabei bleibt unklar und verwirrend, und hat ein Fortschreiten der katastrophalen Entwicklung nicht aufhalten können, trotz der vielen Vorschläge, die in unzähligen Vorträgen und Büchern schon gemacht wurden. Wenn nur schöne, positive Ziele entworfen werden, die vermeintlich sogar mit grünem Wachstum erreichbar wären, versteht kaum jemand, welche Konsequenzen weitere Untätigkeit denn haben könnte.

 

Denn, wie schon festgestellt: viele, wohl sogar die meisten Menschen in den westlichen Ländern, finden auch ihr heutiges Leben schön und angenehm und wollen daran nicht unbedingt etwas ändern. Vielleicht ist es zumindest hilfreich, aufzuzeigen, dass Veränderungen kein Verzicht sein müssen, denn wir verzichten heute schon auf sehr viel Wertvolles.

 

Endlichkeit

Den Spagat, einerseits weiter ein Umsteuern anzustreben, und andererseits auch einen Plan B für den viel wahrscheinlicheren Fall des Scheiterns zu entwickeln, werden wir somit aushalten müssen. Die ärztliche Erfahrung zeigt: Der sterbenskranke Mensch und Patient wird auch für eine Besserung seiner Situation kämpfen, und doch mit dem Schlimmsten rechnen müssen.

 

Die Perspektive eines Scheiterns und somit einer Endlichkeit unserer Kultur, oder gar der Art Mensch, muss daher nicht fatalistisch stimmen. Wenn, wie Ökologen sagen, 98 Prozent aller Arten in der Evolution den Planeten wieder verlassen mussten, was gibt uns und unserer Kultur dann eigentlich die Arroganz eines ewigen Daseins-Anspruchs? Den haben wir ja persönlich ebenso wenig, und reagieren dennoch nicht mit Resignation, sondern versuchen ein sinnvolles Leben zu führen und gut für die Nachkommen zu sorgen, wie dies selbst krebskranke Menschen im Angesicht plötzlich deutlich gewordener Endlichkeit versuchen.

 

Genau das wäre auch die Aufgabe in der Ökokrise, nämlich die Stärkung von Resilienz, also von Anpassung und Widerstandsfähigkeit in Anbetracht der nahezu unvermeidbaren Umweltveränderungen, die ja schon längst begonnen haben. Dazu wäre jedoch eine gute Portion Demut vonnöten, somit wegzukommen vom menschlichen Allmachbarkeits-Wahn.

 

Vielleicht passt das nicht ganz zu der Überzeugung, die wir sonst eigentlich haben, nämlich dass wir lernfähige und vernunftbegabte Sozialwesen sind, was ja auch stimmt, und dass wir daher das schon alles in den Griff bekommen werden. Mit neuer Technik, mit Climate-Engineering, mit Allround-Digitalisierung, mit globalen Beschlüssen oder mit Bewusstseinsänderung, mit Nachhaltigkeit, mit Schülerdemonstrationen. Oder mit Expansion ins All, was ja Stephen Hawking für das Überleben der Menschheit empfohlen hat.

 

Aber dieses „in den Griff bekommen wollen“, der ausschließliche Blick auf das Überleben der Menschheit, ohne Blick auf andere Lebewesen oder Pflanzen, all das ist schon wieder „typisch Mensch“, möchte man sagen, eine anthropozentrische Hybris also, mit der wir uns schon die Natur untertan gemacht haben und damit ins heutige Anthropozän gelangt sind.

 

Der Mensch ist daher nicht gut, nicht böse, nicht grundsätzlich gierig oder egoistisch, aber auch nicht von vornherein nur kooperativ. All das ist jeweils abhängig von den umgebenden Bedingungen, oft allein davon, wie diese empfunden werden. Der Mensch (insbesondere der in den Industrieländern) aber ist in der heutigen Situation vor allem eines: überfordert!

 

„Wer nicht hören will, muss fühlen“ – vom nötigen Leidensdruck

Und damit nähern wir uns erneut psychologischen Aspekten. Denn erst durch das Erkennen und Spüren einer Überforderung entsteht ein stärkerer Leidensdruck, der generell, aber offenbar gerade in der Umweltkrise dafür nötig ist, dass drängender Handlungsbedarf entsteht. Erst bei Fieber wird zum Arzt gegangen, oder erst bei schwereren Krisen der Therapeut aufgesucht. Oder eben bei Fukushima der Atomausstieg beschlossen.

 

Der Psychoanalytiker Felix de Mendelssohn etwa geht davon aus, dass Nachhaltigkeitsbestrebungen erst durch viel Leidensdruck umgesetzt werden können, und dass hierfür „Sanktionen und Regierungsgewalt“ nötig sein werden.[19] Beispielhaft sehen wir das 2020 am Corona-Virus. Der als Nebeneffekt zumindest dem Planeten eine Verschnaufpause verschafft hat. Wirtschaftliches Handeln, Flugreisen und Ölverbrauch gehen derzeit zurück. Auch wird weniger gearbeitet. Sollte gerade ein Virus den Weg in eine Postwachstumsökonomie weisen?

 

Authentisch und emotional – psychotherapeutische Wirkfaktoren

Für nachhaltig spürbaren Leidensdruck allerdings müssten Bürger und Politiker sich die Schwierigkeit der heutigen Situation offen eingestehen, wovon wir weit entfernt sind. Dabei zeigt die Psychotherapieforschung, wie wichtig gerade eine offene und authentische Beziehung zwischen Therapeut und Patient ist. Es ist einer von mindestens drei psychotherapeutischen Wirkfaktoren.

 

Ein solches Therapiebündnis zwischen Therapeut und Patient ist wirksam. Ein ehrlicher Pakt zwischen Politikern und Bürgern in der Bewältigung der unangenehmen Umweltkrisen wäre es wohl auch. Bisher allerdings haben sich beide allenfalls in der Verleugnung der Umweltkrisen verbündet. Es sei aber daran erinnert, dass ein Großteil der Bevölkerung durchaus erkannt hat, dass etwa für ein Bremsen des Klimawandels die heutigen Lebensstile nicht zu halten sein werden. Daran müssten Politiker nur anknüpfen und dafür eigene Ängste vor Machtverlust bewältigen, selbst wenn sie mal eigene Ratlosigkeit eingestehen, was ja nur ehrlich wäre.

 

Weiter ist psychotherapeutische Behandlung effektiv, wenn gemeinsam Gefühle bearbeitet werden, sowie vorhandene Fähigkeiten und Ressourcen aufgespürt werden. Da könnte doch gesellschaftlich wie politisch einmal geschaut werden, was heute schon da ist an Ressourcen und Resilienz für nachhaltige Lebensstile. Beispielhaft seien Transition Towns erwähnt, mit ihrem Versuch, die lokale Wirtschaft zu stärken, Gegenstände zu reparieren statt wegzuwerfen, Tauschbörsen einzurichten und sich unabhängig von Wirtschaftswachstum zu machen. Nebenbei fördert dies ungemein die Gemeinschaft der Menschen vor Ort, was bei einem weiteren Behandlungsschritt hilfreich ist.

 

Hier nämlich würde es – und das ist der schwierigste Prozess in jeder Therapie – um die Änderung von Gewohnheiten gehen. Das ist der 3. Wirkfaktor von Psychotherapie. Jeder, der schon einmal versucht hat, sich das Rauchen abzugewöhnen, weiß, wovon die Rede ist. Hier ginge es nun um viele kleine und damit möglichst machbare Schritte in vielen Bereichen, die leichter fallen, wenn sie nach offener Diskussion durch politische Leitplanken angestoßen werden, die dann für alle gelten. Politiker würden so zu Leitfiguren in Selbsthilfegruppen einer konsumübersättigten Wohlstandsgesellschaft, mit dem Ziel einer deutlichen „Gewichtsabnahme“, oder besser: eines erheblich kleineren ökologischen Fußabdrucks.

 

Grenzen setzen

All das mag äußerst unrealistisch klingen, und ist es wahrscheinlich auch. Der innere Skeptiker meldet sich daher zu Wort und fragt, wie wahrscheinlich es wohl ist, dass wir zu solch ehrlichen Diskussionen und damit zu den entsprechenden Regelungen kommen? Viele Möglichkeiten sonst gibt es jedoch nicht. Außer man hofft naiv auf technische Lösungen oder die sog. „große Transformation“ durch Bewusstseinsänderung. Oder man nimmt heftige Konflikte in Kauf, die durch knapper werdende Rohstoffe und klimabedingte Flüchtlingsströme erst noch auf uns zukommen werden.

 

Es geht bei den immer dringlicher zu treffenden Regelungen nicht nur um Anpassung an schon eingetretene Folgen der Ökokrise, sondern hoffentlich immer noch auch um die Prävention zukünftiger Auswirkungen. Dafür aber sind letztlich wohl zusätzlich zu psychotherapeutischen Strategien auch quasi pädagogische Maßnahmen nötig. Es müssen endlich Grenzen gesetzt werden, wie bei Kindern in der Erziehung, nur dass hier wir Erwachsenen uns selbst die Grenzen setzen müssten, sei es durch anderes Verhalten, oder sei es durch Wahl derjenigen Politiker, die dies glaubhaft umsetzen.

 

Derzeit aber verhalten sich Erwachsene mit ihrem Festhalten an Arbeitsplatzargumenten und Wirtschaftswachstum irrationaler als Kinder selbst, die noch ohne diese Scheuklappen offen und ungeschützt auf die schon eingetretenen und noch kommenden Katastrophen blicken und zu Recht nun aufbegehren.

 

Die narzisstische Kränkung aber, erkennen zu müssen, dass wir als vermeintlich hoch entwickelte westliche Menschen offenbar trotz aller Fähigkeiten und guter Eigenschaften Probleme auch nicht lösen können, und darüber hinaus die ganze gegenwärtige Situation mit all ihren Dilemmata und Widersprüchen sowie fortschreitenden Entwicklungen auszuhalten, inklusive der Tatsache, dass der Leidensdruck zumindest in den Industrieländern immer noch nicht groß genug ist – es also wohl leider mehr Dürren, Überschwemmungen, Stürme, Klimatote sowie Nahrungsmittelverknappung geben muss, auch in unseren Breiten (was alles andere als zynisch gemeint ist), um die westliche Welt zu einer Änderung ihrer Lebensstile zu bewegen, das zu erkennen und auszuhalten ist die eigentliche und schwere Aufgabe dieser Zeit.

 

Widerstand

Was jedoch niemanden daran hindern muss, heute schon mit dem Einüben von Resilienz zu beginnen und sich vorzubereiten – und damit auch nötigen Widerstand zu üben gegen eingeträufelten Wachstums- und Konsumzwang oder Alternativlosigkeit. In diesem Sinne Gewohnheiten zu ändern, am besten mit Gleichgesinnten zusammen, dabei Selbstwirksamkeit zu erleben, - und gleichzeitig aufzupassen, nicht vorzeitig auszubrennen, kann sich dann sogar erfreulich gut anfühlen. Zumindest Ihre eigene Kultur hätte sich dann schon mal freiwillig zur nachhaltigen Lebensweise gewandelt.

 

Dr. Andreas Meißner, in München niedergelassener Psychiater und Psychotherapeut, Autor des Buches „Mensch, was nun? Warum wir in Zeiten der Ökokrise Orientierung brauchen“ (oekom, 2017). (11.03.2020)

 

[1] Umweltbundesamt, Umweltbewusstsein in Deutschland 2016, März 2017.

 

[2] Daniel Wetzel, Deutsche sind bereit für Energiewende Opfer zu bringen, in: WELT online, 11.11.2018, https://www.welt.de/wirtschaft/article183641852/Forsa-Umfrage-Grosse-Mehrheit-der-Deutschen-ist-fuer-Klimaschutz-zu-Opfern-bereit.html,

 

[3] Ellen Ehni, Nur jeder Dritte für eine CO2-Steuer, https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/.

 

[4] Zitiert nach: Christopher Schrader, Mehr Gefühl bitte, in: „Süddeutsche Zeitung“ (SZ), 4.6.2016.

 

[5] Bitkom, 30-Milliarden-Markt rund um das Smartphone, 22.2.2018, https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/30-Milliarden-Markt-rund-um-das-Smartphone.html

 

[6] Patricia Cammerata, „Jede Familie kann mir drei, vier schlimme Computerspiele nennen, kaum eine kennt ein gutes“, Interview in: „Der Spiegel“ 11/2020, 7.3.2020.

 

[7] Elizabeth K. Nisbeth, John M. Zelenski, Underestimating nearby nature: Affective forecasting errors obscure the happy path to sustainibility. Psychological Science, 22(9) 1101-1106, 2011.

 

[8] Birgit Schneider, „Wir können nicht die ganze Zeit hinschauen“, Interview in: „SZ-Magazin“ 10/2020, 6.3.2020.

 

[9] Marcel Hunecke, Psychologie der Nachhaltigkeit: Psychische Ressourcen für Postwachstumsgesellschaften, oekom 2013.

 

[10] Graeme Maxton, Change, München 2018.

 

[11] Werner Remmers, Problem erkannt, Lösung vertagt, in: „DIE ZEIT“, 26.05.1989

 

[12] Ebd.

 

[13] Niklas Maak, Auch das Internet hat einen Auspuff, in: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ), 13.1.2018.

 

[14] Tilman Santarius, Runter von der Überholspur, Chancen und Risiken der Digitalisierung, in: „Der Tagesspiegel“, 14.05.2018; S. Lange, T. Santarius, A. Zahrnt, Von der Effizienz zur digitalen Suffizienz, in: Was Bits und Bäume verbindet. Digitalisierung nachhaltig gestalten, oekom 2019.

 

[15] Dennis Meadows, Der Kaiser ist längst nackt, in: „Süddeutsche Zeitung“ (SZ), 13.11.1999.

 

[16] Wolfgang Haber, Die unbequemen Wahrheiten der Ökologie. Eine Nachhaltigkeitsperspektive für das 21. Jahrhundert, oekom 2010.

 

[17] Harald Welzer, Nochmal erschrecken, in: „DIE ZEIT“, 5.9.2013.

 

[18] Graeme Maxton, Change, München 2018.

 

[19] Felix de Mendelssohn, „Nachhaltigkeit bedeutet ständiges Weiterarbeiten“. Ein psychoanalytischer Blick auf das Konzept der Nachhaltigkeit. Interview in: G. Sorgo (Hg.), Die unsichtbare Dimension. Bildung für eine nachhaltige Entwicklung im kulturellen Prozess. Forum Umweltbildung, 2011.

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